Bundessozialgericht erklärt „freie“ Notärzte
zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten –
Klarheit oder noch mehr Verwirrung?

Das Bundesozialgericht hat am Dienstag in drei Fällen entschieden, dass die Tätigkeit von Honorarnotärzten die Merkmale einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erfüllen (B 12 KR 29/19 R, B 12 R 9/20 R und B 12 R 10/20 R).

Die entscheidende Weichenstellung trifft hier § 7 Abs. 1 SGB IV entlang der Merkmale der Weisungsabhängigkeit der Tätigkeit sowie der Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Rettungsdienstliche Organisationsstruktur entscheidend für die Einordnung

Während die Landessozialgerichte Hessen und Baden-Württemberg in der jeweiligen Vorinstanz diese Fragen noch unterschiedlich beurteilt hatten, hat sich das Bundessozialgericht nun klar positioniert. In seiner Entscheidung vom Dienstag stellt das Bundessozialgericht maßgeblich auf folgende Faktoren ab, aus denen es sowohl die Weisungsabhängigkeit, als auch die Eingliederung in die Arbeitsorganisation folgert:

  • Die organisatorisch-taktische Weisungsabhängigkeit von der Rettungsleitstelle.
  • Die Bestimmung des Aufenthaltsortes des NEF durch die RLSt bei gleichzeitiger Verpflichtung des NA, sich während des Dienstes örtlich in der Nähe des Notarztfahrzeuges aufzuhalten.
  • Die Verpflichtung nach einer Einsatzalarmierung innerhalb einer bestimmten Zeit auszurücken.
  • Das arbeitsteilige Zusammenwirken mit Personal, welches zum Rettungsdienstbetrieb des Weisungsgebers gehört.
  • Die Tatsache, dass der NA (im Wesentlichen) keine eigenen Arbeitsmittel nutzt, sondern seine Tätigkeit mit Ausrüstung und Fahrzeugen des Weisungsgebers (im konkreten Fall: des betroffenen Landkreises) versieht.
  • Die Tatsache, dass der NA während der einzelnen Dienste aufgrund seiner Eingliederung in eine fremde Organisation keine Möglichkeit habe, seinen eigenen Gewinn durch unternehmerisches Handeln zu steigern.

Medizinische Weisungsunabhängigkeit nicht entscheidend

Der Umstand, dass der Notarzt in medizinischen Belangen weisungsunabhängig agiert, fiel demgegenüber für das Bundessozialgericht nicht ins Gewicht. Wörtlich führt das BSG im Terminbericht hierzu folgendes aus:

Denn auch bei eingeschränktem Weisungsrecht kann die Dienstleistung fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird und sich daher als „funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess“ darstellt.

Exkurs: § 23 c Abs. 2 SGB IV hier nicht relevant

Die Freistellungsregelung des § 23 c Abs. 2 SGB IV, die die Ausnahmen beschreibt, unter denen die Einnahmen aus Tätigkeiten als Notarzt im Rettungsdienst nicht beitragspflichtig sind, hat keine Auswirkungen auf die hier vom Bundessozialgericht zu entscheidende statusrechtliche Einordnung der notärztlichen Tätigkeit. Denn § 23 c Abs. 2 SGB IV beschreibt lediglich die Fälle, in denen die vom Notarzt erwirtschafteten Einnahmen nicht der Beitragspflicht unterliegen. Zur Frage, ob der Notarzt hierbei selbstständig oder als abhängig Beschäftigter im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV tätig wird, trifft § 23 c Abs. 2 SGB IV hingegen keine Aussage.

Damit alles klar?

Leider nein. Denn an die Feststellung, dass der (somit sozialversicherungspflichtige) Notarzt weisungsabhängig in die Arbeitsorganisation eingebunden ist, schließt sich zwangsläufig die Frage an, in wessen Arbeitsorganisation der Notarzt damit denn nun eingebunden sein soll. Wenngleich man über diese Frage mangels Entscheidungsrelevanz vielleicht sozialversicherungsrechtlich hinweggehen mag, spielt sie indes doch für die komplementäre Fragen des Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsrechts eine entscheidende Rolle.

Betriebsverfassungs-/Personalvertretungsrecht als Anschlussfrage

Denn die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und freier Mitarbeit spielt auch für die mitbestimmungsrechtliche Einordnung nach § 5 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) (bzw. den entsprechenden landespersonalvertretungsrechtlichen Regelungen; bspw. Art. 4 BayPVG), etwa im Zusammenhang mit der Repräsentation durch den Betriebs-/Personalrat – eine Rolle.

Hierfür muss geklärt werden, wessen abhängig Beschäftigter der Notarzt denn sein soll. In Frage kommen hierfür nämlich mindestens sowohl der Aufgabenträger selbst, wie auch der/die den Rettungsdienst durchführenden Leistungserbringer. Diese Frage ist keinesfalls nur von theoretischem Wert. Denn der Träger der Rettungsleitstelle als „Weisungsgeber“ kann – und wird häufig auch – nicht identisch sein mit dem Träger der Arbeitsorganisation, in die der Notarzt eingegliedert ist.

In den bisherigen Verlautbarungen des Bundessozialgerichts ist hierüber nichts nachzulesen. Es bleibt abzuwarten, ob die noch ausstehende Urteilsbegründung hierzu Aufschluss liefern wird.

Bei Klinikärzten stellt sich die Frage der Arbeitnehmerüberlassung

Auf dem Fuße folgt dann übrigens – bei von der Klinik entsandten Notärzten – die Problematik der Arbeitnehmerüberlassung. Denn auch § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) stellt maßgeblich auf die hier ausgeurteilten Merkmale der Weisungsabhängigkeit und der Eingliederung in den Betrieb ab (vgl. (EuGH, Urt. v. 17.11.2016, NZA 2017, 41; BAG, Urt. v. 21.02.2017, NZA 2017, 662 (665); Urt. v. 17.1.2017, NZG 2017, 630 (632) sowie BAG, Urt. v. 17.01.2017, NZG 2017, 630 (632); Urt. v. 15.04.2014, BeckRS 2014, 70025; Urt. v. 13.08.2008, BeckRS 2010, 71643).