Schlussanträge des Generalanwalts in Sachen Bereichsausnahme
In dem Vorlageverfahren des OLG Düsseldorf (Rs. C‑465/17 – Falck Rettungsdienste GmbH, Falck A/S ./. Stadt Solingen) hat der Generalanwalt beim EuGH, Manuel Campos Sánchez-Bordona, am vergangenen Mittwoch, den 14.11.2018, die Schlussanträge gestellt. Der Generalanwalt plädiert darin für die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme auf die Notfallrettung im Rahmen des Regelrettungsdienstes. Den qualifizierten Krankentransport sieht er hingegen, soweit es sich nicht um Notfalltransporte handelt, nicht vom Anwendungsbereich der Bereichsausnahme erfasst.
Anwendbarkeit der Bereichsausnahme auf den Regelrettungsdienst
Falck hatte in dem Verfahren die Auffassung vertreten, die Anwendung der Bereichsausnahme sei auf den Bereich des Katastrophen- und Zivilschutzes beschränkt und könne den Regelrettungsdienst nicht umfassen. Dem hat sich der Generalanwalt nicht angeschlossen, sondern stattdessen klargestellt, dass grundsätzlich auch der Regelrettungsdienst vom Anwendungsbereich der Bereichsausnahme umfasst sei. Zur Begründung stützt sich der Generalanwalt im Wesentlichen auf die systematische Erwägung, dass die Rückausnahme in Art. 10 lit. h der Richtlinie 2014/24 („… mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung“) schlicht überflüssig wäre, wenn der Anwendungsbereich von vornherein nur auf den Katastrophen- und Zivilschutz beschränkt wäre.
Qualifizierter Krankentransport außerhalb des Anwendungsbereiches der Bereichsausnahme
Den reinen qualifizierten Krankentransport (also nicht bloß die unqualifizierte Patientenbeförderung) sieht der Generalanwalt hingegen nicht von der Bereichsausnahme umfasst. Er stellt hierzu auf den im 28. Erwägungsgrund der Richtlinie vorausgesetzten Notfallcharakter der privilegierten Dienstleistungen ab. Wörtlich sieht der Generalanwalt das ausschlaggebende Unterscheidungsmerkmal zwischen privilegierten und nicht-privilegierten Aufgabensegmenten darin,
„… dass die unerlässliche Versorgung geboten wird, damit der Transport des Patienten so durchgeführt wird, dass er (unverzüglich) in ein Krankenhaus gebracht wird, so dass so schnell wie möglich die zur Erhaltung seines Lebens, seiner Gesundheit und seiner körperlichen Unversehrtheit erforderliche medizinische Versorgung sichergestellt ist.“
Zur Abgrenzung führt er bezüglich des Krankentransportes weiter aus:
„Die Patienten mögen zwar einen Begleiter bei der Beförderung im Fahrzeug benötigen, aber sie bedürfen keiner medizinischen Notfallversorgung.“
Fehlende Gewinnerzielungsabsicht als entscheidendes subjektives Merkmal
Das OLG Düsseldorf wollte in seinen Vorlagefragen wissen, ob „gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen“ europarechtlich dahingehend definiert werden könnten, dass „deren Ziel in der Erfüllung von Gemeinwohlaufgaben“ bestehe, dass sie „nicht erwerbswirtschaftlich tätig“ seien und sie „etwaige Gewinne“ reinvestierten, „um das Ziel der Organisation zu erreichen“. In diesem Zusammenhang hat das OLG im Hinblick auf die in §107 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbsatz GWB kodifizierte Gemeinnützigkeitsvermutung des Weiteren danach gefragt, ob Art. 10 lit. h RL 2014/24 so verstanden werden könne, dass „gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen“ insbesondere solche Hilfsorganisationen sind, die nach nationalem Recht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind.
Ausgehend von diesen Vorlagefragestellungen hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen zu den subjektiv-personalen Anwendungsvoraussetzungen der Bereichsausnahme Stellung genommen. Er sieht das Fehlen eines Erwerbszwecks als entscheidendes Tatbestandsmerkmal. Ausschlaggebend sei, dass die betreffende Organisation „nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist und dass sie etwaige umständehalber – also ohne Gewinnstreben – erzielte Gewinne der Erfüllung ihrer sozialen Aufgabe widmet, d. h. in diesem Fall der Erbringung medizinischer Notfalldienste“.
Einschränkend stellt der Generanwalt im Hinblick auf die Vermutungsregel des §107 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbsatz GWB klar, dass es für die Gemeinnützigkeitseigenschaft nicht alleine ausreicht, dass die betreffende Organisation im innerstaatlichen Recht als Hilfsorganisation anerkannt ist.
Auffallend ist, dass der Generalanwalt weitere Voraussetzungen an die Organisationsstruktur, wie sie in den Verfahren Spezzino (EuGH, Urt. v. 11.12.2014 – Rs. C-113/13) und CASTA (EuGH, Urt. v. 28.01.2016 – Rs. C-50/14) eine Rolle gespielt haben, für die Frage der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme nicht prüft. Wörtlich führt der Generalanwalt hierzu aus:
„Die Tatsache, dass eine Organisationsstruktur auf Freiwilligentätigkeit beruht, kann auf das Fehlen eines Erwerbszwecks hindeuten; dies ist aber nicht zwingend.“
Dies entspricht auch unserer bisherigen gutachterlichen Auffassung, wonach die Frage, wie stark die jeweilige Organisation durch die Tätigkeit von Freiwilligen geprägt ist – sprich: welchen Ehrenamtlichenanteil sie aufweisen muss und umgekehrt, welchen Hauptamtlichenanteil sie höchstens aufweisen darf – für die reine Anwendbarkeit der Bereichsausnahme keine Rolle spielt, sondern erst für die Frage einer möglichen Direktvergabe vs. Anwendung des Primärrechts (transparentes, chancengleiches Verfahren) Relevanz hat. Letztere Fragestellung ist aber ohnehin nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens.
Keine Aussagen zu den Fragen der Anwendbarkeit des EU-Primärrechts und
den notwendigen Strukturfestlegungen in den Landesrettungsdienstgesetzen
Zur weiteren Tatbestandsfrage, inwieweit durch landesrechtliche Privilegierungsregelungen in den Rettungsdienstgesetzen die Strukturvoraussetzungen dafür geschaffen sein müssen, dass man im Sinne der Bereichsausnahme davon sprechen kann, dass die relevanten Rettungsdienstleistungen von der/den gemeinnützigen Organisation(en) und Vereinigung(en) (tatsächlich) erbracht werden, hat sich der Generalanwalt nicht geäußert.
Ebenso wenig nimmt der Generalanwalt auf der Rechtsfolgenseite zur Frage Stellung, inwieweit bei einer Anwendung der Bereichsausnahme gleichwohl die primärrechtlichen Voraussetzungen von Transparenz und Chancengleichheit gewahrt werden müssen.
In beiden Fällen liegt dies schlicht daran, dass entsprechende Fragen vom OLG Düsseldorf in seinem Vorlagebeschluss nicht gestellt worden sind.
Fazit
Sollte sich der EuGH – wovon auszugehen ist – den Schlussanträgen des Generalanwalts anschließen, würde dies Klarheit dahingehend bringen, dass objektiv zumindest die Notfallrettung im Rahmen des Regelrettungsdienstes von der Bereichsausnahme umfasst ist. Der qualifizierte Krankentransport könnte danach allenfalls dann unter die Bereichsausnahme gefasst werden, wenn er im Rahmen einer Mehrzweckfahrzeug-Konzeption vergeben wird, bei der der Notfallanteil überwiegt.
Subjektiv wäre die europarechtliche Definition der „gemeinnützigen Organisationen und Vereinigungen“ klargestellt. Dies war aber auch bisher jenes Tatbestandsmerkmal, das den geringsten Unklarheiten unterlag. Theoretisch einschränkend, aber ohne praktische Auswirkungen ist die Feststellung, dass die Vermutungsregel des §107 Abs. 1 Nr. 4 2. Halbsatz GWB europarechtlich nicht belastbar ist.
Damit sind aber keineswegs alle Fragen sowohl der Anwendbarkeit der Bereichsausnahme, als auch ihrer Rechtsfolgen beantwortet:
Ungeklärt bleibt, inwieweit die Mitwirkung der zu schützenden „gemeinnützigen Organisationen und Vereinigungen“ in den Landesrettungsdienstgesetzen strukturell im Sinne einer Privilegierung vordefiniert sein muss. Eine Positionierung zur Frage, ob im Falle einer Anwendung der Bereichsausnahme dennoch zumindest die primärrechtlichen Anforderungen an Transparenz und Chancengleichheit zu beachten sind bzw. unter welchen Voraussetzungen ggf. eine Direktvergabe zulässig ist, enthalten die Schlussanträge – erwartungsgemäß – ebenfalls nicht.
Insgesamt ist daher der praktische Nutzen der Schlussanträge des Generalanwalts und wohl auch der zu erwartenden EuGH-Entscheidung nur sehr eingeschränkt zu sehen.
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